Autor: Luc Deitz |
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Die in 1186 griechischen Hexametern verfasste "Erdbeschreibung" des Dionysius von Alexandria (gen. Periegetes, der "Herumführer" oder "Cicerone") entstand unter Kaiser Hadrian, also zwischen 117 und 138 n. Chr. Erklärtes Ziel des didaktischen Werks ist es, vor dem geistigen Auge des Lesers ein Bild der damals bewohnten Welt ("Oikoumene") entstehen zu lassen, um so die "Unkundigen" auf anschauliche Weise zu belehren (170-173). Einleitend werden die allgemeinen Gesichtspunkte erwähnt, anhand deren sich der Geograph orientieren soll: der Okeanos, der die Welt rings umspült, und die drei Kontinente Libyen (= Afrika), Europa und Asien, mitsamt ihren natürlichen Grenzen. Dieser Vorgabe folgt der Gesamtaufbau des Werks: (1) Obwohl der Okeanos nur ein einziger Strom ist, trägt er doch verschiedene Namen - im Norden etwa nennt man ihn den "Hesperischen Atlas", im Osten spricht man vom "Indischen Meer" und im Süden ist er unter dem Namen "Erythräisches Meer" bekannt. Im äussersten Westen, an den sog. "Säulen des Herakles" (zwischen Libyen und Europa) ergiesst er sich ins Mittelmeer, in dem besonders Sizilien, Kreta und der Hellespont als Orientierungspunkte dienen. - (2) Afrika, "trapezförmig" (174) und wegen der dort herrschenden Glut "einem Pantherfell ähnlich" (181), wird von zahllosen Nomadenstämmen bewohnt; im Landesinnern leben die "Menschen mit versengtem Gesicht", die Äthiopier (218); Reichtum und Wohlstand sind vor allem dem Nil zu verdanken, "dem kein anderer Fluss gleicht" (228) und dem das "hochberühmte, hunderttorige Theben" sein Ansehen verdankt. Abschliessend erwähnt Dionysius den Leuchtturm seiner Heimatstadt Alexandria, der im ganzen Erdkreis nicht seinesgleichen hat. - (3) Europa dehnt sich zwischen den Säulen des Herakles im Westen, den Britannen im Norden, den Thrakern im Osten und den Sikelioten im Süden aus. Entscheidend ist für Dionysius aber der durch den Lauf der Donau vorgegebene Unterschied zwischen "nördlichen" und "südlichen" Völkern; eigens hervorgehoben wird die Bedeutung der Donau als Transportweg für Bernstein (328). Besonders detailliert werden naturgemäss Italien (Rom als "Mutter aller Städte", 355) und Griechenland, sowie die Mittelmeerinseln, allen voran Sizilien und Kreta, beschrieben. Erstaunlich, wenngleich im Kontext der antiken Geographie nicht völlig ohne Vorbild, ist die Erwähnung von Taprobane (Sri Lanka, 593) und Ogyris (Hormus im Persischen Golf, 607). - (4) Die Beschreibung Asiens geht von der Mäotis im Norden aus und führt über Kolchis, das Kaspische Meer, den Bosporus, Syrien, Arabien, Kappadokien, Mesopotamien und Persien bis hin zu den Dionysos-Säulen in Indien, die das Ende der Welt im Osten markieren. Immer wieder hebt Dionysius den geradezu sprichwörtlichen, fabelhaften Reichtum der orientalischen Länder hervor; er nennt sie als die Heimat von Gold, Silber und Elfenbein, von Beryll und Saphir, von Achat und Amethyst, und selbst wenn manche Völker (untypischerweise) ihr Dasein "in tiefgehöhleten Felsen" (965) fristen müssen, so trübt doch nichts das in der Antike topische Bild von Arabia felix. - Das Gedicht schliesst mit einer Erwähnung der gottgewollten Verschiedenheit der Völker (1167-1180). Die "Erdbeschreibung" des Dionysius wurde ein
erstes Mal im 4. Jh. von Rufius Festus Avienus in lateinische Hexameter
übersetzt. Eine zweite lateinische, ebenfalls metrische, Übersetzung
des Textes wurde um 500 von dem in Konstantinopel wirkenden Priscian verfasst.
Entscheidend für die weitere Überlieferung des Gedichts im lateinischen
Westen war die Tatsache, dass Cassiodor die "Descriptio" so
hoch schätzte, dass er sie in der Mitte des 6. Jht. zur Pflichtlektüre
für die Mönche und Schüler des Klosters Vivarium machte,
damit diese einen zuverlässigen Führer zu den Teilen der Welt
hätten, von denen sie in der Bibel nur lasen (Inst. 1,25,2). Griechische
Scholien, Paraphrasen, Kommentare und Anklänge finden sich handschriftlich
bis ins 14. Jht., darunter von so bedeutenden Gelehrten wie Georgios Choiroboskos
(9. Jht.), Eustathios von Thessalonike (12. Jht.) und Meliteniotes (14.
Jht.). Priscians Übertragung erschien zuerst 1476 bei Johann von
Köln und Johann Manthen in Venedig (HC 13357) und ein zweites Mal
im selben Jahr bei Dominicus de Vespolate in Mailand (HCR 13354). Eine
(dritte) lateinische Übersetzung von Antonius Beccaria wurde 1477
von Peter Loeslein u.a. in Venedig gedruckt. Ebenfalls in Venedig, bei
Antonius de Strata, erschien Aviens Übersetzung (1488, BSB-Ink A-969).
Die Erstausgabe des griechischen Texts schliesslich wurde im Jahr 1512
von Johannes Maciochus in Ferrara gedruckt. |
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