Autor : Philippe Hoch,
Bibliothèque municipale de Metz

 

 

Thomas von Aquin (ca. 1225 - 1274), der ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod heilig gesprochen und in der Mitte des 16. Jahrhunderts zum Kirchenlehrer erklärt wurde, ist eine der herausragendsten Gestalten des Abendlandes. Zu Recht hat man, besonders seit der Romantik, sein Hauptwerk, die Summa theologiae, mit den gotischen Kathedralen verglichen, deren Türme in den wichtigsten Städten der Christenheit in den Himmel emporragten. Ebenso wie die gewagten Bauwerke des 13. Jahrhunderts drückt das thomistische Lehrgebäude, mit den Worten eines seiner Interpreten, "die erstaunliche Fruchtbarkeit einer gewagten und zugleich zerbrechlichen Einheit von Verstand und Mysterium, von Kultur und Glauben aus" (Marie-Dominique Chenu). In der Tat ist die Summa theologiae das Meisterwerk der Theologie schlechthin, die damals als die Königin der Wissenschaften, regina scientiarum, galt.

Thomas wurde in der kleinen Stadt Aquino geboren, die auf dem Weg von Neapel nach Rom liegt. Der Denker, der zum führenden Vertreter der Theologie des Ordo praedicatorum werden sollte, war zunächst Oblate der Benediktiner-Abtei von Montecassino. Er studierte in Neapel, wo er Unterricht in der Naturphilosophie und der Metaphysik des Aristoteles erhielt. Im Jahre 1244 tritt Thomas gegen den Willen seiner Familie, die ihn mehrere Monate lang gefangen hält, bei den Dominikanern ein, einem Bettelorden, der damals in voller Blüte stand. Kaum wieder auf freiem Fuß wurde Thomas zunächst nach Paris geschickt, wo er von 1245-1248 studierte, und im Anschluss hieran nach Köln (1248-1252), wo er Albert den Großen hörte. Wieder nach Paris zurückgekehrt, beginnt er dort eine Lehrtätigkeit, die erst mit seinem Tod aufhören sollte. Wie Père Chenu schreibt, "hat sich das Leben des Thomas dort abgespielt; es findet ganz und gar innerhalb der Universitäten statt", diesen Gemeinschaften von Lehrenden und Lernenden, die sich soeben erst in einigen großen städtischen Zentren entwickelt hatten. Als baccalaureus biblicus kommentiert er von 1252 bis 1254 die Heilige Schrift (sacra pagina); als baccalaureus sententiarius dehnt er seinen Unterricht auf den Liber sententiarum des Petrus Lombardus († 1160) aus, der bis ins 16. Jahrhundert (und gelegentlich noch darüber hinaus) das grundlegende Werk für das Studium der Theologie war. 1256 wird Thomas zum Magister der Theologie ernannt; als magister actu regens setzt er seinen Unterricht von 1256 bis 1259 in Paris fort, wo er die Summa contra gentiles verfasst, ein apologetisches Handbuch für Missionare. Weitere Lehrtätigkeit folgte; in die Jahre 1265 bis 1268 (Aufenthalte in Rom und in Viterbo) fällt der Anfang der Niederschrift der Summa theologiae, die für Thomas' Studenten bestimmt war. Erneute Rückkehr nach Paris im Jahre1269. Die gespannte Situation, die durch den "lateinischen Averroismus" entstanden war, gab Anlass zu zahllosen Auseinandersetzungen über das Werk des Averroes (Ibn Rušd, 1126-1198) und, allgemeiner gesprochen, über die Schriften der arabischen Aristoteleskommentatoren. Dementsprechend haben die thomistischen Schriften aus dieser Zeit auch hauptsächlich die Philosophie des Stagiriten (wie Aristoteles häufig genannt wird) zum Inhalt ; des Weiteren verschiedene theologische Fragen, die Anlass zu Quaestiones bieten; schließlich fällt in diese Periode auch die Fortsetzung der Summa theologica. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde der Dominikanermönch von Karl I. von Anjou nach Neapel gerufen, der dort die Universität "wieder auf die Beine stellte". Thomas starb 1274 auf der Reise zum ökumenischen Konzil von Lyon, zu dem ihn der Papst als Sachverständigen berufen hatte.

Wenn man sich das Werk Thomas von Aquins vor Augen führt, dann erkennt man deutlich seine enge Verbindung zu und direkte Abhängigkeit von der universitären Arbeit des doctor angelicus. Die verschiedenen Arten von Schriften, die er hinterlassen hat, stellen, nach dem Bild eines Kommentatoren, "die Stufen eines Unterrichts dar, der von der elementaren Texterklärung bis zur öffentliche ausgetragenen Kontroverse reicht". Der Elementarübung des mittelalterlichen Universitätslebens, der lectio, entsprechen die Kommentare. Die meisten unter ihnen haben die Heilige Schrift zum Inhalt, von der Thomas neben der litteralen auch eine begrifflich-abstrakte Deutung vorschlägt, die sich deutlich von der frommen meditatio abhebt, die so lange im Zentrum der monastischen und patristischen Theologie gestanden hatte. Andere Kommentare des Kirchenlehrers haben Aristoteles und spätere Autoren zum Inhalt, etwa den Pseudo-Dionysius, Boethius oder, wie bereits erwähnt, Petrus Lombardus. Neben der lectio war die quaestio disputata "die universitäre Tätigkeit par excellence". Hierbei behandelte der Lehrer ein Problem mit Hilfe der Methoden der Dialektik (einer der sieben freien Künste), wobei er die Lehrmeinungen seiner Vorgänger der Reihe nach Revue passieren ließ und hieraus seine eigenen Schlussfolgerungen zog. So behandeln die Quaestiones disputatae des hl. Thomas u.a. die Wahrheit, das Böse und die Seele.

Wenn abschließend einige polemische Schriften von Thomas, und zwar an erster Stelle sein Contra errores Graecorum (Gegen die Irrtümer der Griechen) nicht unerwähnt bleiben sollen, so muss das Hauptaugenmerk doch seinen großen theologischen Synthesen gelten, die das Wissen in einem zusammenhängenden Ganzen zusammenfassen: die Schriften über die Sentenzen, die Summe gegen die Heiden (Summa contra gentiles) und, selbstverständlich, die Summe der Theologie (Summa theologiae). Das Ziel der erstgenannten Summe besteht darin, im Licht und im Rahmen der Vernunft die Glaubensinhalte darzulegen und sie zugleich gegen die Lehren der Heiden, also der arabisch-muslimischen Philosophen, abzugrenzen. Was dagegen die Summa theologiae anbetrifft, die man lange Zeit als das Meisterwerk der christlichen Theologie schlechthin ansah und die noch bis vor kurzem immer wieder erläutert, aufgegriffen und kommentiert wurde, so wurde sie in der Absicht verfasst, den Studenten in drei großen Teilen Unterricht in der Tradition zu erteilen, wobei allerdings die organische Darstellung des Stoffs immer ein Hauptanliegen blieb.

Die Summa theologiae war zunächst in zahlreichen Handschriften verbreitet. Mehrere Inkunabeldrucke (des ganzen Textes oder ausgewählter Auszüge) erlaubten es, den Bedürfnissen der Universitätslehrer und Kleriker der Zeit entgegenzukommen. Es ist nicht erstaunlich, dass eine große Anzahl dieser Bücher in europäischen Bibliotheken vorhanden ist, und zwar besonders in den Bibliotheken der Institutionen, die im Rahmen dieses Projektes zusammenarbeiten. Ebenso selbstverständlich ist die Tatsache, dass ein Teil dieser Bücher in einem Projekt auftaucht, das die Restaurierung von Büchern enzyklopädischer Natur zum Inhalt hat. In den Bibliotheken von Lothringen gibt es noch ca. 15 Inkunabelausgaben des hl. Thomas von Aquin, denen man noch einmal die gleiche Zahl von Druckwerken zur Seite stellen müsste, die dem Doctor angelicus zugeschrieben werden, aber nicht von ihm stammen. Die beiden Metzer Exemplare der Summa, die hier vorgestellt werden, stammen aus der Benediktiner-Abtei Saint-Vincent von Metz bzw. aus der Bibliothek des Kapitels der Kathedrale. Aus der bedeutenden Sammlung Trierer Inkunabeln sind sieben Exemplare ausgewählt worden, die früher Sancta Maria ad Martyres, St. Martin, St. Maximin und dem Kloster Eberhardsklausen gehörten.

Bibliographie. Dictionnaire des théologiens et de la théologie chrétienne, sous la dir. de Gérard Reynal, Paris, Bayard, Centurion, 1998; Evangelista Vilanova, Histoire des théologies chrétiennes, Paris, Cerf, 1997, Bd. I.

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