Reparaturbedürftiges Wissen

Mit EU-Zuschüssen werden fünf frühe Drucke der Nationalbibliothek restauriert und im Internet vorgestellt

An der Schwelle zur Neuzeit erlaubte die gerade erfundene Technik des Buchdrucks ein neues Geschäft mit der massenhaften Verbreitung alter Weisheiten des Mittelalters. Bis ziemlich rasch ganze, bisher unbekannte Kontinente entdeckt wurden... 
Zukunft für Vergangenheit - das Wissen Europas an der Wende heißt ein gemeinsames Projekt der Stadtbibliothek Trier mit der Nationalbibliothek Luxemburg und der Stadtbibliothek Metz im Rahmen der 186 im letzten Jahr von der Europäischen Kommission geförderten Programme von Kultur 2000. Dabei bezuschusst die Europäische Union mit insgesamt 86.290 Euro die Restaurierung von 35 Inkunabeln, frühen Drucken aus dem 15. Jahrhundert, die mit ihren enzyklopädischen Absichten und ihrem vielfach überholten Wissen wichtige Kulturdokumente einer Zeit des geistigen Umbruchs sind. 
Zu dem Projekt gehört aber nicht nur die Restaurierung der vom Zerfall bedrohten Bücher. Die Restaurierungsarbeiten selbst sollen auch auf einer mehrsprachigen illustrierten Internetseite dokumentiert werden, wo auch Text und Abbildungen der Werke kurz vorgestellt werden. Für eine Digitalisierung der Bücher reichte allerdings das Geld nicht. 
Diese beim Luxemburger Service informatique de l'État beherbergte Web-Seite soll im Laufe dieses Monats unter der Adresse www.libri-europae.org aktiviert werden. Nach Abschluss des vom 1. September 2001 bis 31. August 2002 laufenden Projekts ist auch eine Wanderausstellung der restaurierten Werke in den drei Bibliotheken vorgesehen. 
Die Trierer Stadtbibliothek, die am Ursprung des Projekts steht, leitet das Unternehmen und steuert 35 restaurierungsbedürftige Bücher bei, die Luxemburger und die Metzer Bibliotheken je fünf. Für den Luxemburger Teil verantwortlich ist Professor Luc Deitz, der Leiter der Réserve précieuse der Nationalbibliothek. 
Von den fünf Büchern aus der Inkunabelsammlung der Luxemburger Nationalbibliothek ist Hartmann Schedels noch ganz mittelalterliche Weltchronik Liber chronicarum durch ihre 1809 Holzschnitte voller naivem Charme bis heute am bekanntesten - ein populärer Nachdruck erschien erst vor wenigen Monaten im Taschen-Verlag. Das Werk wurde 1493 zum ersten Mal in 1500 Exemplaren in Nürnberg bei Anton Koberger gedruckt und dann vielfach neu aufgelegt und übersetzt. Der Luxemburger Foliant unbekannter Herkunft besteht nur aus 274 von 325 Blättern, auch sein Einband ist beschädigt. 
Vom gleichen Drucker und aus dem Jahr 1492 stammt das bereits im 13. Jahrhundert verfasste De proprietatibus rerum des englischen Franziskanermönchs Bartholomaeus Anglicus, das zur naturwissenschaftlichen Enzyklopädie des Mittelalters wurde. Das Exemplar der Nationalbibliothek trägt unter anderem zahlreiche Wasserflecken. 
Ebenfalls von Koberger 1486 in Nürnberg gedruckt wurde das Catholicon von Johannes Balbus de Janua, ein lateinisches Wörterbuch, das ein Viertel Jahrhundert zuvor auch Gutenberg gedruckt haben soll. Am Luxemburger Exemplar ist unter anderem der Einband beschädigt. 
Ein ähnlicher Bestseller wie das Wörterbuch des Genuesen wurde die Weltgeschichte Fasciculus temporum des deutschen Kartäusermönchs Werner Rolevinck, der seine Zeitrechnung als einer der ersten an Christi Geburt orientierte. Das mit Holzschnitten illustrierte Exemplar im komplexen Layout wurde 1476 in Köln bei Konrad Winters von Homborch gedruckt. 
Möglicherweise von dem Franziskanermönch Guibert de Tournai aus dem 13. Jahrhundert stammt das anonyme Pharetra, auctoritates et dicta doctorum philosophorum et poetarum continens, eine Enzyklopädie theologischer Zitate, die als "Köcher" voller Giftpfeile gegen Ungläubige gerichtet werden sollten. 
Die fünf nun restaurierten Bände sind nur ein kleiner Teil der teilweise einzigartigen Bücher und Zeitungen der Nationalbibliothek, die dringend restauriert und konserviert werden müssen. Aber anders als bei Festungsteilen ist der Erhalt von Büchern als Kulturdenkmälern noch immer kein Thema. 

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